Hans-Joachim Goller
Kulturdezernent a. D., Galerist
Selb 04.05.2014
„Aleš Hnízdil“
Deutsch-Tschechisches Projekt „Kultur – Stadt – Nachhaltigkeit / Kultura – Město – Trvání“
Ausstellung in der Galerie Goller Selb
Anrede
Denjenigen unter Ihnen, die unser Gesamtprogramm zu dem Projekt „Kultur – Stadt – Nachhaltigkeit / Kultura – Město – Trvání“ aufmerksam gelesen und verfolgt haben, wird aufgefallen sein, dass darin der Name Aleš Hnízdil zweimal auftaucht. Das geht darauf zurück, dass wir den Künstler, der von 09. – 15. Juni den Worhshop um und mit Bambus in der Interaktiven Galerie Becher-Villa in Karlovy Vary leiten wird, den interessierten KunstfreundInnen breiter und intensiver vorgestellt wollen. Sie sollen neben dem Erlebnis seiner Lehr- und Vermittlungstätigkeit auch sehen können, womit sich der Mann als freischaffender Künster beschäftigt. Nach meiner Einschätzung konnten wir mit ihm einen äußerst ruhigen, dafür aber umso spannenderen, weil tiefgründigen, Künstler gewinnen.
Er lebt mit seiner Frau, einer Architektin mit Büro in Prag, und den vier Kindern, die jüngsten sind 8jährige Zwillinge, in einem Haus in Měchenice. Das Dorf liegt ca. 10 km südlich vom Stadtrand Prags an der Moldau. Er, der fast 60jährige, lehrt seit 1999 Landschaftsgestaltung an der Technischen Universität Prag an der Fakultät für Architektur. Vorher tat er das auch in Liberec und in Brno. Seine Ausbildung als akademischer Bildhauer erfuhr er von 1969 bis 1984 (also 15 Jahre lang) an der Fachschule Hořice, der Akademie der Bildenden Künste in Prag und der Hochschule für Bildende Künste in Kassel. Mit der deutschen Sprache tat er sich nicht schwer, denn er kann sich als „richtigen Tschechen“ einstufen – die haben nämlich eine deutsche Großmutter, was für ihn zutraf.
Aleš Hnízdil ist ein in hohem Maße denkender Mensch. Aber er denkt anders als die meisten von uns. Er denkt nicht nur intensiver, er denkt fühlender, er denkt umfassender, weiträumiger, er denkt über sich selber und seine Rolle im Weltensystem nach, er denkt gleichzeitig in mehreren Ebenen um das Wesen des Menschen und des Seins einerseits geistig erfassen zu können und um andererseits diesen Gewinn an Erkenntnis dann auch umsetzen, auch darstellen zu können. Er erfasst den Menschen nicht einfach als ein Wesen zwischen Himmel und Erde, sondern er sieht eine Notwendigkeit für sich und auch jeden anderen Menschen darin, sich als Mitglied der Einheit von Himmel, Mensch und Erde zu verstehen.
Frühzeitig hat er die figürliche Darstellungsweise verlassen, weil deren beschreibender Charakter voller Erzählungen ihn hinderte, die gesamte Komplexität des Menschseins ausdrücken zu können. Er strebte danach, Motive zu entwickeln, die gleichzeitig mehrere Ebenen des Denkens erfassen. Der Weg dahin war die figürliche Kürzung bis hin zur konsquenten Reduzierung. Er sagt 1993 selber: „Ich suche danach, innere Gefühle, Reflexionen und Reaktionen auszudrücken auf das, was in der Außenwelt geschieht, und ich versuche eine innere Kommunikation mit mir selbst und mit meiner Umgebung zu etablieren.“ Und zwei Jahre später: „Die Raumlinien sind für mich ein Ausdruck der Kontinuität des menschlichen Lebens. Die Linien als Kommunikationselemente im Raum sind nur durch das Wahrnehmungsvermögen und die geladene Energie des Menschen definiert. Überall um uns gibt es die Atmosphäre, durchdrungen von der Energie der Menschen, die uns allen innewohnt.“
Dieses Denken führte ihn in den Folgejahren zwangsläufig zu den Arbeitsserien „Zyklische Energie“ und „Ruhe im Raum“. Dabei stößt er auf den bedeutenden Stellenwert des Wassers, in dem sich die zyklische Energie als ständig wiederkehrendes Element manifestiert. Seine höchste Werthaftigkeit gilt sowohl für den Lauf der gesamten Welt wie auch als Bauteil jedes einzelnen Menschen. Die ständige Zirkulation des Wassers in allen und um alle Lebewesen sichert das Überleben der Erde generell und das der Organismen. Dieses Wissen um die zyklische Energie führt Hnízdil über das Bewusstsein dessen hin zum Bewusstsein schlechthin. Und das Bewusstsein kommuniziert über Raum und Zeit, schafft aber auch den Kontakt zu einer bestimmten Person. Es kann Ausdruck von Sympathie, Respekt, Anerkennung oder Verständnis sein.
So ist das künstlerische Handeln unseres Protagonisten sehr stark kopfgeprägt. Seine Philosophie ist ein ständiger Entwicklungsprozess. Sein Antriebsmotor dazu, sich so und nicht anders bildnerisch auszudrücken, ist eine klare Notwendigkeit. Wenn er auf diesem Weg andere mitnehmen kann, ist das gut für ihn. Wenn nicht, dann sind die selber schuld.
Auf Leinwand arbeitet er selten. Dominant für ihn ist der Einsatz des Papieres. Seine Entstehung braucht viel Wasser. Er arbeitet darauf mit Tusche, schwarzer oder blauer. Nicht aus dem Fass. Er reibt und mischt sie selber an. Beim lavierenden Auftrag ist das Wasser nur leicht gefärbt. Das Papier bekommt Falten und dadurch eine topografische Wirkung. Ohne Pinsel, also nur rein unmittelbar aus der Hand, trägt er die Tusche als Linie oder als Fläche auf um seine Energie unmittelbar einfließen lassen zu können und die Anrührungen seines Bewusstseins übermitteln zu können. Es handelt sich bei ihm und in ihm um Berührungen des Raumes, die er gerne auf die BetrachterInnen übertragen will, damit die darüber nachdenken können, was für sie in dieser Ebene wichtig ist.
Hnízdil verwendet Pergamentpapier und weißes Papier, letzteres mit einer dünnen Lackschicht auf einer Seite. Natürlich trägt er seine Linien rein mit der Hand ohne Hilfsmittel auf. In noch feuchtem Zustand kann er sie verwischen, muss es aber nicht. Durch solche Manipulationen – im wahrsten Sinn des Wortes Handhabungen – schafft er mehrere Wirkungsebenen auf einem Blatt. Nach dem Trocknen aufgetragene saubere Linien erwecken den Eindruck des Eindringens in einen anderen Raum. Wenn er die Tusche sehr satt aufträgt, kann er in diese Fläche nachträglich eingravieren.
Die einzelnen Blätter enthalten somit nicht einfach irgendwelche Linien und Wischflächen, sondern sie verraten Bewusstseinsebenen und Durchdringungen vielfältigster Art.
Von besonderem Reiz sind die wenigen Skulpturen. Sie sind Linien im Raum, im endlichen, weil umbauten, wie im unendlichen. Sie sind nicht starr, sie leben Bewegung, so wie es der vorbeigehende Mensch bewirkt oder der Wind es will. Sie teilen Räume auf und veranlassen uns dazu, Verlängerungen zu erdenken. Sie holen Energie aus dem Raum herunter in den Stein, in den Boden, in die Erde.
Hans – Joachim Goller
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